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Alle Corona-Schutzverordnungen rechtswidrig? Das Dortmunder Urteil ist ein Paukenschlag – wenn es der Rechtsbeschwerde stand hält

Es war eines von tausenden Ordnungswidrigkeiten-Verfahren, mit denen derzeit die deutschen Gerichte wegen angeblichen Verstößen gegen die Corona-Schutzverordnungen überzogen wurden. Vorgeworfen wurde drei jungen Männern, am Osterwochenende 2020 in Dortmund abends gemeinsam an einem öffentlichen Platz gestanden zu haben – juristisch wurde daraus der Vorwurf einer verbotenen Ansammlung nach § 12 der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Coronaschutzverordnung NRW. Nachdem die Stadt Dortmund einen entsprechenden Bußgeldbescheid über je 200 Euro erlassen hatte, legten die Betroffenen Einspruch ein und es folgte die entsprechende Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Dortmund, bei welcher einer der Betroffenen anwaltlich vertreten war. Nach den Erfahrungen einiger ähnlicher Verfahren, war zu erwarten, dass im Mittelpunkt der Verhandlung die Frage stehen würde, ob den Dreien nachgewiesen werden könnte, dass sie sich zusammen aufgehalten haben. Doch die Beweisaufnahme dauerte nur wenige Sekunden, der Richter machte schnell klar, dass es nicht auf die Frage ankommen würde, wie nah oder fern die drei Männer beieinander standen und schloss, nachdem es keine weiteren Anträge gab, die Beweisaufnahme. Als er zum Urteilsspruch ansetzte, wurden die Augen immer größer. Während sich die Miene des Staatsanwaltes zunehmend verfinsterte, trauten die Betroffenen ihren Ohren kaum. Der Dortmunder Amtsrichter Michael Tebbe hatte soeben erklärt, dass er sämtliche Verordnungen, die seit März 2020 in der Bundesrepublik erlassen worden sind, als rechtswidrig erachtet, da sie gleich aus zwei Gründen fehlerhaft seien. Zum einen wäre die Vorschrift von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage aus dem Infektionsschutzgesetz nicht gedeckt und würde damit gegen Bundesrecht verstoßen, zum anderen sei die Norm für sich genommen keine geeignete, gesetzliche Grundlage, da es ausschließlich dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten sei, entsprechende, weitgehende Beschränkungen der Grundrechte – im konkreten Fall das Recht auf Bewegungsfreiheit, abgeleitet aus dem Recht der Freiheit der Person (Artikel 2, Abs. 2 GG), zu verfügen.

In der mündlichen, wie auch später in der schriftlichen Begründung des Urteil (AG Dortmund vom 2. November 2020, 733 OWi – 127 Js 75/20 – 64/20) ließ der Richter keine Zweifel, dass er selbst die verfügten Einschränkungen als medizinisch notwendig erachtet und die Coronapolitik der Bundesregierung ohne Abstriche verteidigt. Aber es sei für ihn nicht möglich, jemanden wegen einer Verordnung zu verurteilen, die nicht den Ansprüchen an die Gewaltenteilung in der Bundesrepublik genügt. Diese Gewaltenteilung und der Parlamentsvorbehalt seien eine Lehre aus dem Ermächtigungsgesetz im dritten Reich sei, bei dem mit immer neuen Verordnungen weiterregiert wurde (O-Ton in der mündlichen Urteilsbegründung). Zur Verdeutlichung, dass es seiner Meinung nach bereits zu Beginn der Pandemie parlamentarische Beschlüsse über die Verordnungen gegeben haben müsste, zitierte der Richter in der mündlichen Urteilsbegründung den berühmten Staatsrechtler Carl Schmitt: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“. Und über diesen Ausnahmezustand hätte bei der Corona-Pandemie eben nicht der Souverän, das Volk entschieden, das in einer parlamentarischen Demokratie durch die Parteien vertreten wird, sondern die jeweiligen Landesregierungen selber.

In der schriftlichen Urteilsbegründung wird ausführlich dargelegt, um welch „schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützten Interessen der Bürgerinnen und Bürger“ es sich bei dem verfügten Kontaktverbot handelt. Dieser ließe sich eben nicht auf § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes stützen, wie es bisher von den Verordnungsgebern begründet wurde, da dieses Infektionsschutzgesetz primär gegen Kranke zu richten sei, nicht gegen die gesunde Bevölkerung. Darüber hinaus fehlt es der Norm § 12 CoronaSchVO bereits an einer hinreichenden Bestimmtheit, da die Begriffe Zusammenkunft oder Ansammlung nicht hinreichend eindeutig definiert seien. Weiterhin wird im Urteil beanstandet, dass die bisherigen Formulierungen im Infektionsschutzgesetz zu allgemein seien, als dass darauf gefahrenabwehrrechtliche Verordnungen gestützt werden könnten, es würde sich vielmehr um eine Maßnahme handeln, die jeden Bürger im Staatsgebiet betrifft und eben nicht nur „Krankheitsverdächtige“ und „Ansteckungsverdächtige“, gegen die das Infektionsschutzgesetz Eingriffsmöglichkeiten vorsieht, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern: „In dieser Ausgestaltung werden Gefahrenprognose und Adressatenauswahl derart pauschaliert, dass sie als Grundsätze der Gefahrenabwehr gänzlich zu Gunsten einer allgemein gültigen und gänzlich abstrakten Einschätzung aufgegeben werden“. Abschließend wird im Urteil noch einmal der eingangs beschriebene, fehlende Parlamentsvorbehalt gerügt: „Eine in die Grundrechte derart tief eingreifende Regelung wie das hier in Rede stehende Kontaktverbot für alle Bürgerinnen und Bürger des Landes NRW hätte aber auch unabhängig von der Frage, ob ein solches auf § 28 IfSG gestützt werden kann, nicht im Wege der Rechtsverordnung durch die Exekutive erlassen werden dürfen, sondern war von vornherein dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten“.

Um Angriffspunkte zu vermeiden, setzt sich der insgesamt sehr gut begründete und mit vielen Rückgriffen auf Kommentarliteratur versehene Urteilstext auch mit der Vorlagepflicht beim Bundesverfassungsgericht oder den Verfassungsgerichtshof auseinander, die aber nur greift, wenn ein Richter eine entscheidungserhebliche Norm für mit höherrangigem Recht unvereinbar hält – diese Norm bezieht sich aber ausschließlich auf Gesetze, nicht auf Verordnungen. Damit begründet Richter Tebbe, dass es ihm zusteht, die Coronaschutzverordnung NRW als rechtswidrig zu erklären.

Der Dortmunder Urteilsspruch kann in der aktuellen, sich fast wöchentlich ändernden Auseinandersetzung mit den verschiedenen Coronaschutzverordnungen nicht hoch genug eingestuft werden. Erstmals hat ein Richter die Position vieler Juristen und Staatsrechtler, die seit Beginn der Pandemie vor allem den fehlenden Parlamentsvorbehalt, aber auch die Unbestimmtheit vieler Regelungen aus dem Infektionsschutzgesetz, kritisieren, in einen Urteilstext einfließen lassen. Gegen dieses Urteil wurde noch am selben Tag Rechtsbeschwerde durch die Staatsanwaltschaft eingelegt, letztendlich wird das Oberlandgericht Hamm sich nun mit diesem sehr gründlich formulierten Urteil auseinandersetzen. Sollte das Urteil vor dem OLG bestand haben, würde eine Kettenreaktion in Gang gesetzt. Wenn sich jede Maßnahme, die seit März unter dem Deckmantel der Pandemiebekämpfung betrieben wurde, ganz gleich, wie wenig zielführend sie auch erschienen war, als rechtswidrig erweisen würde, stünden nicht nur Regressforderungen aller Betroffenen (83 Millionen Menschen) gegen die Länder an, die politischen Verantwortlichen müssten sich auch dafür verantworten, über ein halbes Jahr an den Gesetzen vorbei regiert zu haben. Eine Bestätigung des Urteils durch das OLG wäre der Nachweis für diesen unvorstellbaren Rechtsbruch, welcher in der Geschichte der Bundesrepublik einzigartig ist.

In gewissen Kreisen ist seit dem Urteil des Amtsgericht Dortmunds, das natürlich nur eine Einzelfallentscheidung von einem Richter ist, aber auch auf der Internetseite des Dortmunder Amtsgerichts an prominenter Stelle beworben wird, eine regelrechte Panik zu verspüren. Wenn am Mittwoch (18. November) das überarbeitete Infektionsschutzgesetz verabschiedet werden soll, ist das Tempo, mit dem dieses Gesetz eingebracht wird, wohl eine direkte Reaktion auf die Angst, dass sich weitere Gerichte, vor allem höhere Gerichte, dem Urteilstenor anschließen könnten. Ein Gesetz, das an einem Tag alle drei zustimmungspflichtigen Verfassungsorgane, Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, durchlaufen soll, muss entweder zeitlich zwingend in aller Schnelle eingeführt werden, weil die Pandemielage es erfordert – was aber bei einer Pandemie, die seit März andauert, bereits widerlegt ist, immerhin stand ein halbes Jahr für die Einbringung eines solchen Gesetzes zur Verfügung – oder es muss eben als Grundlage dafür dienen, dass eine Außer-Kraft-Setzung der zahlreichen Verordnungen ansonsten die Bundesregierung und ihre Ministerpräsidenten in den Ländern in ein nie dagewesenes Chaos stützen würde. Ob das Infektionsschutzgesetz in seiner vorgesehenen Form aber dann auch vor dem Verfassungsgericht stand halten wird, steht an anderer Stelle: Viele Verordnungen, die z.T. bereits durch Verwaltungsgerichte gekippt worden sind, werden einfach zum Gesetz. Aber auch Gesetze dürfen die Grundrechte eben nicht in unbegrenzter Form einschränken.

Es ist viel in Bewegung gekommen und während sich die Gerichte zu Beginn der Pandemie eher restriktiv bei der Verteidigung von Verboten und Einschränkungen zeigten, gab es in den letzten Wochen viele Lichtblicke. Das Dortmunder Urteil ist dabei sicherlich die beste Argumentationsgrundlage für zukünftige Verfahren und vielleicht ein Grundstein dafür, unsere Freiheit zurückzuerlangen.

 

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Rechtsanwalt Freiburg – Dubravko Mandic